„Krieg und Frieden“ – Kommentare zur Andacht mit Vortrag im Essener Dom am 25.8.2023
Kommentar von Michael Iuva
Angekündigt wurde ein Vortrag der FDP-Verteidigungspolitikerin Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann über die Christliche Friedensbotschaft angesichts des Krieges in der Ukraine.
Freudig hervorzuheben ist das Stattfinden der Veranstaltung selbst. Denn es kann nicht genug öffentliche Orte geben, an denen die unterschiedlichen Standpunkte zu den Themen Frieden und Krieg deutlich werden.
Wer aber auf anregende Gedanken von Frau Strack-Zimmermann zur Botschaft Christi und zum von ihr selbst ausgesuchten Bibelvers „Frieden hinterlasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch …“ hoffte, wurde enttäuscht. Übrig bleibt für Strack-Zimmermann: Fortführung der Unterstützung der Ukraine auf allen Gebieten (wirtschaftlich, humanitär und militärisch), Beten für die Demokratie und das Warten bis Gespräche möglich werden. Die Ukraine müsse weiterkämpfen können. Diplomatische Initiativen, um zu Verhandlungen zu kommen, ob durch die UN, die EU oder durch die Kirche werden im Vortrag mit keinem Wort als wünschenswerte Wege zum Frieden diskutiert. Von Transzendenz oder dem Wunsch nach einer Kultur des Friedens und der Völkerverständigung war nichts zu hören: Thema verfehlt!
Meiner Überzeugung nach kann Frieden entstehen, indem Distanz und Feindschaft zwischen zwei Gruppen überwunden wird. Doch wie soll das geschehen?
Der Theologe Klaus Berger [1] schreibt zum biblischen Konzept des Friedens:
„Wer ein wenig von der Welt versteht, weiß, dass Wahrheit erkämpft werden muss, weil der Widerstand des Bösen erheblich ist. […] Das höchste Gut ist Gerechtigkeit. Sie ist Bedingung des Friedens. So ist letztlich die Befolgung von Gottes Gesetz und seine Gerechtigkeit die Bedingung des Friedens. So gilt für das Neue Testament: Der entscheidende, wahre Friede, der sich auch unter Menschen auswirkt, kommt von Gott her und wird durch den Tod Jesu bewirkt. Entsprechend ist die Gruppe der Friedensstifter hier klein, machtlos und letztlich erfolglos nach irdischen Maßstäben. Aber in dieser kleinen Schar der Unbedeutenden beginnt das Wunder der Vergebung, und die ist göttlich. Wie verhalten sich Kampf und Versöhnung zueinander?“
Klaus Berger schreibt, dass erst „klare Verhältnisse“ geschaffen werden müssen: „Aufklärung über die wahre Situation des Menschen und die Wirklichkeit Gottes und seines Heilsangebots, dann kann es Versöhnung geben. Sonst gibt es nur brüchigen Scheinfrieden.“ Als Christen sind wir gerufen, Gerechtigkeit zu üben. Gegen Lug und Trug aufzustehen. Und mit viel Geduld die Schleifen der Gewaltlogik zu unterbrechen.
[1] Klaus Berger, Jesus, 2004 Pattloch Verlag
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Kommentar N.N.
Die katholische Kirche präsentierte sich an diesem Abend durchaus heterogen.
Am Eingang zum Dom zeigten drei Vertreter der christlichen Friedensinitiative Pax Christi kritische Plakate zu der Vortragenden und begegneten uns Besuchern mit offenen Fragen und Dialogbereitschaft. Im Dom gab es ein Falzblatt mit einem herzensklugen Text von Papst Franziskus zur Gewaltfreiheit aus dem Jahr 2017. Und auch ein überraschend vielschichtiges Eingangsgebet zum Thema Frieden.
Höflich und staatsnah hatte Dompropst Thomas Zander die Anmoderation von Marie-Agnes Strack-Zimmermann gestaltet. Ein sehr emotionaler Zwischenrufer des Vortrages zeigte sich in einem späteren persönlichen Gespräch vor der Kirche als ein überzeugter und besonnener Katholik, der mit unzähligen Briefen schon seit Beginn des Konfliktes versucht hatte, sich beim Bistum Gehör zu verschaffen.
In den christlichen Rahmen eingebettet hielt Frau Strack-Zimmermann in der zu etwa 60% gefüllten Kirche einen professionellen und frei gesprochenen Vortrag, in dem sie wie erwartet die Geschichte ein weiteres Mal aus ihrer Sicht schilderte. So wiederholte sie die Deutung des provozierten und brutalen Angriffskrieges, den russischen Imperialismus, die ausschließlich russischen Gräueltaten – die den Dombesuchern noch bis ins grausamste Detail geschildert wurden – die verschleppten Kinder, das ausschließlich ukrainische Leid, das ukrainische Heldentum bei der Verteidigung von Freiheit und Demokratie, die Herabsetzung des russischen Volkes und vor allem ihres Präsidenten Putin, und unsere Verantwortung zur Unterstützung der Ukraine – von humanitärer Hilfe bis hin zu jeder Art von Waffensystem.
Die Fakten blieben anekdotisch und für den Zuhörer nicht nachprüfbar, die Wahrheiten halb. Dagegen war die Gewissheit ihrer Schlussfolgerungen absolut. Die von ihr ausgewählte Bibelstelle konnte sie nicht im Wortlaut wiedergeben. Ein wahrhaftig christlicher Bezug stellte sich in der durchweg politischen Rede nicht ein. Das Publikum applaudierte dennoch mehrheitlich dem kurzweiligen Vortrag.
Ein paar Gedanken sind noch erwähnenswert:
Marie-Agnes Strack-Zimmermann zog eine klare Grenze zwischen der zivilisierten Welt im Westen und einem unzivilisierten Verbrecherstaat in Russland. Verhandlungen sind daher aus ihrer Sicht nicht möglich. Aber ist es nicht eine christliche Kernbotschaft und ein entscheidendes Zeichen von Zivilisation, dass man gerade im Konflikt dem anderen respektvoll zuhört, Kompromisse sucht, Verträge schließt und diese dann einhält? Wie kann der Westen Zivilisiertheit für sich beanspruchen, wenn er all das ablehnt?
Des weiteren forderte Frau Strack-Zimmermann eine endgültige Lösung aus einer Position der Stärke heraus. Der Wunsch, den unvorhersehbaren Lauf der Geschichte an einem selbst festgelegten Punkt gewaltsam anzuhalten, ist nicht neu. Er kam immer von autoritären Systemen, hat niemals funktioniert und den Menschen nur Leid gebracht.
Wir fallen zurück ins Mittelalter.
Als gegen Ende des Vortrages Strack-Zimmermann doch noch Bezug auf ihre Bibelstelle nimmt, stellt sie in Frage, ob es sich bei dem gewonnenen Frieden überhaupt um einen irdischen Frieden handeln muss. Die Belohnung im Jenseits für ein leidvolles Leben im Diesseits ist eine lang bewährte Vertröstung der Kirche. Aber wenn dies zur Leitlinie unserer Verteidigungspolitik wird, ist das an Menschenverachtung nicht zu überbieten. Damit fallen wir zurück ins Mittelalter.
Zum Schluss ermahnt uns Frau Strack-Zimmermann, gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen, sei es in der Unterstützung der Ukraine oder auch im Protest – was wir an diesem Abend auch getan haben. Deutsche Politiker liefern sich seit Monaten einen verantwortungslosen Wettstreit darin, sich bei enthemmten Herabsetzungen des russischen Volkes und seiner Regierung mit verbalen Entgleisungen gegenseitig zu übertreffen.
Wen würden wir überhaupt zu Friedensverhandlungen entsenden? Unter unseren Volksvertretern ist nicht ein einziger, der für diplomatische Aufgaben in Frage kommt.