Wählen? – Nicht wählen?

Welchen Einfluss hat meine Stimme: Wählen? – Nicht wählen? – Stimme ungültig machen?

[3. September 2021]
Wer bei der anstehenden Bundestagswahl am 26.09.2021 die derzeit im Bundestag vertretenen Parteien für nicht wählbar hält, steht aktuell vor der Frage: Soll ich trotzdem wählen? Soll ich nicht wählen? Soll ich meine Stimme (aus Protest) ungültig machen?

Nachfolgend einige Überlegungen dazu:

1) Soll ich trotzdem wählen?

Unsere Antwort: ein unbedingtes „Ja!
Wer hat sich in der Vergangenheit nicht schon des Öfteren gefragt, ob die eigene Stimme nicht „verschenkt“ ist, wenn man eine „Kleinpartei“ wählt, von der man zwar hofft, dass sie die 5-Prozent-Hürde „schafft“, aber nicht sicher ist, ob ihr dieses gelingt? Die Alternative dazu wäre, entweder gar nicht zu wählen oder aber eine der Parteien, die man eigentlich nicht wählen will, von der man aber glaubt, dass sie sicher über die 5-Prozent-Hürde kommt (das wäre dann das „kleinste Übel“  – aber eben immer noch ein Übel). Schafft eine „Kleinpartei“ es nicht über die 5-Prozent-Hürde, so sind die für sie abgegebenen Stimmen tatsächlich „verloren“, was die Zusammensetzung des Bundestags angeht. Die anderen Parteien teilen die Prozente, die sie nicht bekommen haben, unter sich auf.

Doch es gibt zwei gute Gründe, trotzdem eine der kleineren Parteien zu wählen, wenn einem diese mehr zusagt als die derzeitigen Bundestagsparteien:

  1. Wenn erstmals seit langem mehr als 10% der Stimmen an sonstige Kleinparteien gingen, wäre die Botschaft an die Bundestagsparteien eine viel stärkere, als wenn die Wahlbeteiligung etwas niedriger ist. Denn wer sich die Mühe macht, zur Wahlurne zu gehen, um ausdrücklich eine andere als die etablierten Parteien zu wählen, sendet ein stärkeres Signal als dies Nichtwähler tun, von denen man nicht weiß, ob sie aus Bequemlichkeit, Zufriedenheit oder Frust nicht gewählt haben.
  2. Wichtiger noch: Für die Parteienfinanzierung aus Steuermitteln zählt jede Stimme an Parteien, die auf mindestens 0,5 % der Stimmen kommen. Für die ersten vier Millionen Stimmen erhalten die Parteien sogar einen erhöhten Satz von über einem Euro pro Stimme, plus etwa einen halben Euro pro Euro Mitgliedsbeitrag oder Spendeneinnahme von Einzelpersonen. (vgl. Parteiengesetz: § 18 Grundsätze und Umfang der staatlichen Finanzierung / * am Ende dieses Artikels)

Dafür, dass aufstrebende kleinere Parteien mittelfristig einen Chance bekommen, mit den gut finanzierten Bundestagsparteien zu konkurrieren, ist also jede Stimme wichtig. Es lohnt sich deshalb, sich über die Alternativen zu den derzeitigen Bundestagsparteien zu informieren und sein „Kreuz“ ggf. woanders zu machen.

2) Soll ich nicht wählen?

Auch wer nicht wähl, beeinflusst gewissermaßen die Wahl – und zwar zugunsten(!) der (größeren) Parteien, die er für unwählbar hält. Denn jede Partei kann mit weniger (absoluten) Stimmen ihr angestrebtes (prozentuales) Wahlziel erreichen, je mehr Nichtwähler es gibt.
Ein Rechenbeispiel: Eine Partei hat sich zum Ziel gesetzt, bei der Wahl 12 % zu erreichen. Gehen 5 Millionen Menschen zur Wahl, müssen also mindestens 600.000 von ihnen für diese Partei stimmen, damit das Ziel erreicht wird. Wenn aber lediglich 1 Millionen Menschen zur Wahl gehen, benötigt diese Partei zur Zielerreichung nur noch 120.000 Stimmen.

Wer sichergehen will, dass eine bestimmte Partei (nicht) gewählt wird, fährt eben immer noch am besten damit, seine Stimme abzugeben.

3) Soll ich (aus Protest) meine Stimme ungültig machen?

Eine Enthaltung gibt es bei Wahlen in Deutschland nicht. Zwar heißt es oft, den Stimmzettel ungültig zu machen sei besser als nicht wählen zu gehen, faktisch stimmt dies aber nicht. Für das Ergebnis der Wahl werden lediglich die gültigen Stimmen gezählt. Ob jemand gar nicht wählt oder die eigene Stimme ungültig macht, ist letztlich egal, da die Zusammensetzung des Bundestags nur auf den gültigen Stimmen beruht. Was sich jedoch ändert, ist die Höhe der Wahlbeteiligung. Wenn viele Menschen nicht wählen, sinkt die Wahlbeteiligung, welche ausdrückt, wie viele von den Wahlberechtigten tatsächlich an der Wahl teilgenommen haben.

Wenn viele Menschen dagegen ihre Stimme ungültig machen, erhöht sich zwar die Wahlbeteiligung, aber das ist es auch schon. Die Zahl der ungültigen Stimmen wird bei jeder Wahl zwar erfasst – dennoch trägt man durch eine ungültige Stimme, ebenso wie durch das Nichtwählen, dazu bei, dass alle Parteien weniger absolute Stimmen benötigen, um bestimmte prozentuale Werte zu erreichen.

Ob ein ungültiger Stimmzettel wirklich als Protest wahrgenommen wird, ist fraglich. Denn er gibt nicht zu erkennen, ob jemand einfach nicht dazu in der Lage war, den Stimmzettel korrekt auszufüllen, oder ob er dies nicht wollte. Gleiches gilt für die Nichtwähler: auch bei ihnen bleibt offen, warum sie ihr Kreuz nicht machen: Aus Protest oder Desinteresse oder Bequemlichkeit oder weil ihnen im letzten Moment doch etwas dazwischen kam?

Was bleibt, sind unsere Empfehlung und auch unser Wunsch an alle Wahlberechtigten, wählen zu gehen. Am besten persönlich, im Wahllokal. Auch dann, wenn Ihre Stimme zugunsten einer Partei ausfällt, für die es eine Herausforderung ist, die 5-Prozent-Hürde zu überschreiten. Denn damit wählen Sie eben nicht ein immer gleiches „weiter so“ und lediglich eine Umverteilung der Fleischtöpfe, sondern geben Parteien mit neuen innovativen Konzepten die Chance, politisch konkurrenzfähig zu werden und zu wachsen. Genau das ist dann viel mehr wert als seine Stimme nicht abzugeben und damit tatsächlich zu „verschenken“.

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* Gesetz über die politischen Parteien (Parteiengesetz)

§ 18 Grundsätze und Umfang der staatlichen Finanzierung

  1. Die Parteien erhalten jährlich im Rahmen der staatlichen Teilfinanzierung:
  1. 0,83 Euro für jede für ihre jeweilige Liste abgegebene gültige Stimme oder
  2. 0,83 Euro für jede für sie in einem Wahl- oder Stimmkreis abgegebene gültige Stimme, wenn in einem Land eine Liste für diese Partei nicht zugelassen war, und
  3. 0,45 Euro für jeden Euro, den sie als Zuwendung (eingezahlter Mitglieds- oder Mandatsträgerbeitrag oder rechtmäßig erlangte Spende) erhalten haben; dabei werden nur Zuwendungen bis zu 3300 Euro je natürliche Person berücksichtigt.

Die Parteien erhalten abweichend von den Nummern 1 und 2 für die von ihnen jeweils erzielten bis zu vier Millionen gültigen Stimmen 1 Euro je Stimme. Die in Satz 1 Nummer 1 und 2 sowie in Satz 2 genannten Beträge erhöhen sich ab dem Jahr 2017 entsprechend Absatz 2 Satz 2 bis 5.

(4) Anspruch auf staatliche Mittel gemäß Absatz 3 Nr. 1 und 3 haben Parteien, die nach dem endgültigen Wahlergebnis der jeweils letzten Europa- oder Bundestagswahl mindestens 0,5 vom Hundert oder einer Landtagswahl 1,0 vom Hundert der für die Listen abgegebenen gültigen Stimmen erreicht haben; für Zahlungen nach Absatz 3 Satz 1 Nr. 1 und Satz 2 muss die Partei diese Voraussetzungen bei der jeweiligen Wahl erfüllen.

Anspruch auf die staatlichen Mittel gemäß Absatz 3 Nr. 2 haben Parteien, die nach dem endgültigen Wahlergebnis 10 vom Hundert der in einem Wahl- oder Stimmkreis abgegebenen gültigen Stimmen erreicht haben. Die Sätze 1 und 2 gelten nicht für Parteien nationaler Minderheiten.