Zum Ende des Formulars zur Anzeige von Verstößen gegen die Corona-Schutzverordnung auf dem Portal der Stadt Essen

Zum Ende des Formulars zur Anzeige von Verstößen gegen die Corona-Schutzverordnung auf dem Portal der Stadt Essen

[18.05.2023] Wir waren berühmt, wir Essener. Das wusstet ihr noch nicht? Doch, wir standen nämlich in der Welt. In einem großen Artikel am 1. April und es handelte sich nicht um einen Aprilscherz. Wir sind wirklich wer gewesen. Und wer in Essen damals noch nicht wer war, konnte das ganz schnell werden. Es dauerte nur ein paar Minuten. Dann konnte man stolz verkünden: „Ich hab mitgemacht.“ Jetzt wollt ihr natürlich wissen, wie das funktioniert hat. Dazu gleich mehr.

Worum ging es?

Zunächst müsst ihr wissen, worum es überhaupt geht – oder besser ging. Wir, also die Stadt Essen, war nämlich Vorreiter bei der initiativen Verbrechensbekämpfung, sogar bei der Verbrechensaufklärung. Und das schon seit Oktober 2020. Das machte uns Essener zur absoluten Ausnahmeerscheinung in Deutschland. Wir waren die ersten! Wir haben es sozusagen erfunden: das Mitmachen im Meldeportal mit dem Formular zum Anzeigen von Verstößen gegen die Corona-Schutzverordnung.

Da konnte man aber auch Folgendes machen: Wenn du am Karfreitag gesehen hast, wie dein Nachbar bei offener Terrassentür Staub saugt, hast du schnell ein Foto gemacht, bist flugs auf die Seite der Stadt Essen gegangen und hast das Foto da hochgeladen. Noch Straße und Hausnummer mit Uhrzeit und Datum dazugeschrieben, auf SENDEN klicken. Fertig. Funktionierte auch prima beim Falschparken, weil man da reichlich Zeit hatte, das Handy zu holen, falls es gerade am Akku hing. Auch Hundekot-Sünder konnten dann mit deiner Hilfe endlich dingfest gemacht werden. Gastwirte konnten alle Gäste fotografieren, für den Fall, dass einer mal das Zahlen vergessen sollte, oder warum auch immer.

Am besten sollte man mit allem rechnen und immer vom Schlimmsten ausgehen. Mir kommt gerade die Idee, dass die Handykameras womöglich genau für diesen Zweck eingebaut werden. Für die Verbrechensaufklärung. Und wir Essener leben in der Entdeckerstadt für die Methode, die das direkte bürgernahe Aufdecken von Sündenfällen durch den Bürger möglich gemacht hat.

Worum geht es im Welt-Artikel?

Vielleicht fanden es manche schade, dass man das Formular im Meldeportal nicht mit seinem Namen unterschreiben konnte. Die gehören dann allerdings nicht zu denjenigen Personen, von denen im Welt-Artikel die Rede ist. Da dreht es sich nämlich um die deutsche Lust an der Denunziation und um Menschen, die die Möglichkeit der Machtausübung zusammen mit ihrem beinahe schon krankhaften Konformitäts- und Sicherheitsdrang voll ausleben. Auf wie viele Essener diese Beschreibung wohl zutrifft? Ich weiß es nicht. Aber interessieren würden mich diese Zahlen schon.

Wir haben viele Nachahmer gefunden.

Jedenfalls hat unser Beispiel Schule gemacht und schon viele Nachahmer gefunden, auch an ganz bedeutenden Stellen, wie beispielsweise bei Greenpeace. Die grünen Friedensbringer kommen auf ihrem Portal sogar ohne Fotos aus. Da reicht es, einen Gastronomiebetrieb online anzuzeigen, wenn dort keine Mehrweg-Verpackungen verwendet werden. Greenpeace sagt, sie seien gezwungen einzugreifen, weil die Einhaltung von so wichtigen Gesetzen von den Behörden nicht kontrolliert wird. Ich sage: So ein Unsinn. Sollen doch einfach alle das Formular der Stadt Essen benutzen. Schließlich waren wir die ersten. Und unser Meldeportal verfügt sogar über eine eindeutige Behördennähe. Wir könnten einfach alle zwingen, bei uns in Essen alle Schandtaten anzuzeigen. Aber diese große Chance wurde am 08. April mit dem Ende der Corona-Schutzverordnung leider verpasst. Wir sind nicht mehr dabei, das Formular ist verschwunden.

Was sollen wir davon halten?

Haben die Essener Demokratie-Bestimmer etwa den Artikel in der Welt gelesen und gemerkt, dass die Autorin Recht haben könnte, wenn sie sagt: „… auf die gegenseitige Bespitzelung durch die Bürger zu setzen, kennt man ansonsten eher aus totalitären Staaten…“ ?