Million March II – Rückblick eines Teilnehmers
25.06.2022, 10 Uhr: endlich geht es los nach Frankfurt. Vier demonstrationserprobte Basismitglieder aus Essen starten die gemeinsame Fahrt im VW Bus. Es verfliegen drei Stunden mit angeregter Unterhaltung über „Schwurbeliges“, Privates und Grundlegendes. Es macht Freude, sich näher kennenzulernen. In Frankfurt dann noch kurz in die U-Bahn und schließlich zu Fuß zum Treffpunkt.
Der sommerliche Grüneburgpark ist bei unserer Ankunft rappelvoll, jedenfalls die Plätze im Schatten unter den riesigen Bäumen. Unter einem der Bäume treffen wir auch den Rest der zehnköpfigen Delegation des Stadtverbandes Essen. Nein, eine Million Menschen sind es hier nicht geworden, aber laut Veranstalter ist es der größte Umzug, den es jemals in Frankfurt gegeben hat.
Wie in Essen und Düsseldorf auch, haben wieder viele Demonstranten mit großer Kreativität und Faktenwissen ihre individuellen Plakate, T-Shirts und Banner gestaltet. Vom tiefschürfenden Zitat bis zum platten Witz über die Affenpocken kann man vieles finden zum Motto der Veranstaltung “Frieden – Freiheit – Selbstbestimmung“ – aber auch zu den Themen Liebe, Gesundheit, Impfnebenwirkungen und Rechtsstaatlichkeit ist einiges zu lesen. Die Bemerkungen sind regierungskritisch, aber nicht staatsfeindlich, auch nicht extremistisch, antisemitisch oder rechtsradikal.
Bunt sind die vielen Fahnen der international beworbenen Veranstaltung, sie kommen aus Polen, Kroatien, Neuseeland. Unsere Fahne in Schwarz-Rot-Gold ist auch dabei, ebenso Flaggen aus Israel und Russland und vielen anderen Ländern. Einige Fahnen sind aus unzähligen Landesflaggen zusammengenäht und viele zeigen eine weiße Taube. Das funktioniert alles friedlich nebeneinander – eine Reichskriegsfahne suche ich auch hier wieder vergeblich.
Riesige Plüschaffen zwischen überdimensionalen Bananen auf dem Dach eines Mottowagens geben einen Vorgeschmack auf die zynischen Kommentare aus den dazugehörigen Lautsprechern. Große Trommlergruppen stellen sogar die Bochumer Trommler in den Schatten, während vor uns die Demo-Jugend zur Musik von Dr. Alban die passenden Tanzschritte einübt. Sie tanzt ihre Lebensfreude oder vielleicht auch ihre Zukunftssorgen einfach auf den Asphalt. Hinter uns synchronisieren 16 „Freiheitstrychler“ aus der Schweiz das Getöse aus 32 riesigen Kuhglocken. Eine tiefschwarze „Beerdigungsgesellschaft“ schockt mit den Gesundheitsdaten der U.S. Army. Irgendwie funktioniert diese unmögliche Kombination aus großer Ernsthaftigkeit und ausgelassenem Sommerfest.
Die Passanten schauen verdutzt auf die laute, friedliche und lebensfrohe Parallelwirklichkeit, die da unerwartet durch ihre Matrix marschiert. Ihre Handyaufnahmen werden ihnen – und hoffentlich auch vielen ihrer Freunde – bestätigen, dass diese Veranstaltung wirklich so stattgefunden hat, auch wenn sie nie in der Tagesschau zu sehen sein wird. Einige Beobachter reagieren freundlich, die meisten bleiben leider passiv. Nur ganz wenige von ihnen versuchen uns in Wort und Bild die Notwendigkeit des Impfens und der Maßnahmen doch noch zu erklären.
Die Polizei begleitet uns mit nur wenigen Kräften. Den Helm am Gürtel und ohne Maske erkennt man die Gesichter junger und konzentrierter Beamter, leider in schwarzer Montur. Mit der Zeit wirken sie etwas erschöpft und genervt, da auch sie erkennen, dass die schwarze Panzerung bei den durchweg friedlichen Demonstranten kaum angebracht ist und auch nicht wirklich vor der sommerlichen Hitze schützt.
Auf unserem Weg durch das Bankenviertel passieren wir einige Filialen bekannter Geldinstitute, die nach Jahren des „Helikoptergeldes“ wie hochmoderne Scheinriesen à la Michael Ende wirken. Gegen Ende der Veranstaltung befällt mich der Verdacht, dass mit „Million“ nicht die Teilnehmerzahl, sondern die Streckenlänge gemeint gewesen sein könnte.
Erschöpft, dankbar und erfüllt machen wir uns schließlich auf den Weg nach Hause mit der Frage: Was können wir außerdem noch für eine lebenswerte Zukunft tun?